
Jüngling mit Speer
Jüngling mit Speer
Der in München wirkende Bildhauer Bernhard Bleeker (1881–1968) gilt als Hauptvertreter des Neoklassizismus zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Von Adolf von Hildebrand gefördert und stilistisch geprägt, wurde Bleeker 1922 Professor an der Münchner Akademie der Bildenden Künste. Mit dem Bestreben die formalen Ideale der Antike und der klassizistischen Formensprache des 19. Jahrhunderts wiederzubeleben, entsprachen Bleekers Skulpturen auch den Kunstvorstellungen der nationalsozialistischen Kulturpolitik. Bereits 1932 trat er in die NSDAP ein. Zahlreiche Aufträge der NSDAP folgten, darunter ab 1935 der Auftrag für Porträtbüsten von Adolf Hitler.
In diesem Zeitraum entstand auch die Skulptur Jüngling mit Speer. Der nackt dargestellte, junge Mann verkörpert in der Haltung des sog. Kontrapost (mit Standbein und Spielbein) nicht nur das griechisch-antike Ideal von ausgewogenen und harmonischen Proportionen. Sein idealistischer Körper erfuhr in der Lesart seiner Zeitgenossen auch unterschiedliche, propagandistisch aufgeladene Deutungen: Er wurde als heimkehrender Krieger glorifiziert oder als scheinbar ideale Verbindung von Sportlichkeit und erhabenem Menschentum beschrieben. Der Jüngling mit Speer war ein in der NS-Zeit präsentes und stark rezipiertes Kunstwerk, das in mehreren Ausführungen, u.a. als Gipsmodell auf der sog. Großen Deutschen Kunstausstellung 1940 im Haus der Deutschen Kunst in München, zu sehen war. Die Kunsthalle Mannheim erwarb die Skulptur 1941 vom Künstler selbst.
Bernhard Bleeker, die „Liste der Gottbegnadeten“ und die Nachkriegszeit
Bernhard Bleeker wurde 1944 als Künstler in die sogenannte „Liste der Gottbegnadeten“ aufgenommen. Hierbei handelt es sich um eine Zusammenstellung von 378 Künstlerinnen und Künstlern aus den Bereichen Musik, Theater, Literatur und der Bildenden Kunst, die von Adolf Hitler und Joseph Goebbels noch vor Kriegsende in Auftrag gegeben wurde. Sie dokumentiert Bleekers Beteiligung an der Formung einer ganzheitlichen Kulturpolitik im Sinne der nationalsozialistischen Propaganda.[1] Nach Kriegsende und einem verhältnismäßig milden Urteil im Entnazifizierungsverfahren der Alliierten erhielt Bleeker weiterhin Anerkennung für seine künstlerischen Leistungen und Auszeichnungen, z.B. 1956 den Kulturpreis der Stadt München. Äußerst umstritten und problematisch ist bis heute die Entscheidung, den Jüngling mit Speer als Denkmal für den jüdischen SPD-Politiker Ludwig Frank (1874–1914) einzusetzen, an dessen Tod 1914 und stellvertretend an die Gefallenen des Ersten Weltkrieges erinnert werden soll.
Aktuelle Situation: Die Skulptur entstand während der NS-Zeit, gehörte zum visuellen und auch ideellen Erscheinungsbild des Nationalsozialismus und ist daher ungeeignet für das Gedenken an Ludwig Frank, dessen Nachfahren aufgrund ihres jüdischen Glaubens verfolgt und ermordet wurden.
DENKMAL oder MAHNMAL – WIE GEHEN WIR HEUTE MIT KUNST UND IHRER VERBINDUNG ZUM NATIONALSOZIALISMUS UM?
Die fragwürdigen Verstrickungen vieler Künstler und Künstlerinnen mit der Geschichte des Nationalsozialismus gingen in der Nachkriegszeit nicht selten mit einer sozialen Rehabilitierung einher. Eine der zentralen Fragen in Hinblick auf eine kultur- wie kunstgeschichtliche Neubewertung der erhaltenen und in öffentlichen Sammlungen verwalteten Kunst mit NS-Vergangenheit bleibt daher die nach der möglichen bzw. nicht möglichen Trennung von Werk und Künstler*in. In vielen Fällen hat die kritische Aufarbeitung der Künstlerbiografie auch zur Folge, dass die Entfernung eines Kunstwerks aus öffentlichen Einrichtungen und Räumen nötig wird. Bleibt eine Skulptur, muss sie zum Mahnmal der Vergangenheit und der nationalsozialistischen Verbrechen werden. Genauso wichtig erscheint die Frage, welche Denkmäler wir im öffentlichen Raum errichten wollen, die die Zukunft im Blick haben?